New York - laut, ruhelos, voller Menschen. Wie immer.
Langsam laufe ich durch die Straßen. Philipp hat heute
keine Zeit. Nach dem Training musste er ganz schnell
nach Hause, weil seine Cousine getauft wird.
Ich hatte lange geduscht in den Sportumkleiden und
mir die Haare locker gebunden.
Mein Blick wandert durch die Straßen und beiläufig zupfe
ich an meinem Zopf herum.

Die Sonne scheint und ich habe das Gefühl, gleich gebraten zu werden.
Am Liebsten würde ich, gäbe es hier einen Fluss, einfach reinhüpfen.
Ich sehe mich um und beobachte die Menschen die an mir vorbei gehen.
Sie scheinen in einer anderen Welt zu sein, die Welt des Stresses.
Spüren sie die Hitze nicht mal?

"Entschuldigung!", fragt mich da jemand und ein Tippen auf meine
Schulter lässt mich herumfahren und zurückweichen.
Ein Mann in mittlerem Alter lächelt mich schuldbewusst an.
"Ich wollte dir keine Angst einjagen. Ich wollte nur fragen, ob du
vielleicht weißt, wie ich zur Amsterdam Avenue komme."
Verhalten sehe ich ihn an und nicke dann.
Automatisch forme ich meine Antwort mit den Händen, was mir einen
verwirrten Blick einbringt.

Ich beobachte wie ein Mann ein Mädchen anspricht und
diese mit den Händen irgendwelche Zeichen macht.
Der Mann sieht sie verwirrt an.
Kennen die beiden einander?
Ich beobachte die Beiden noch ein wenig.
Der Mann scheint sie noch was zu fragen und
sieht nun irritiert aus.
Ich beschließe mal nachzusehen, was dort los ist.

"Ich verstehe dich leider nicht. Kannst du nicht sprechen?",
sagt der Mann und ich nicke der Einfachheit halber einfach.
Unglücklich sehe ich mich um. Der Mann ist mir unangenehm.
Ich möchte ihn möglichst schnell los werden. Ob hier irgendwo
eine Karte zu finden ist?
Ein Mädchen kommt in unsere Richtung und unsere Blicke treffen
sich. Ein Stich geht durch meinen Kopf.
Sie ist auch kein normaler Mensch. Das weiß ich.

Ich komme näher und geselle mich zu ihnen.
Ich sehe den Mann an.
"Kann ich irgendwie helfen?" frage ich dann und mustere das
Mädchen. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass sie etwas
über mich weiß.

"Oh, ja, die junge Dame ann mir nicht sagen, wo die Amsterdam Avenue ist.
Weißt du das vielleicht? Sie kann nicht sprechen."
Der Mann grinst das andere Mädchen an und ich weiche noch ein Stück zurück.
Dann mache ich dem Mädchen Zeichen. Ich versuche ihr den Weg zu bescheiben.
Vielleicht versteht sie besser, was ich sagen will.

Etwas geschockt sehe ich den Mann an.
Er verhällt sich merkwürdig.
Dann sehe ich das Mädchen an, wie sie versucht mir
Zeichen zu geben.
Ich versuche mich zu orientieren und zur gleichen Zeit
ihre Bewegungen zu folgen.
Dann erkläre ich langsam, Schritt vor Schritt wo er hin muss.

"Ach, vielen Dank!", strahlt der Mann und rennt nach einer hastigen
Verabschiedung in die richtige Richtung davon.
Verlegen schaue ich auf meine Hände, die das Wort Danke formen
und blicke kurz auf. Wäre das Mädchen nicht gekommen, dann hätte
der Mann noch länger da gestanden und mich so angesehen. So wie damals...
der Erzieher... Freundlich nach außen, aber im Inneren...?

Ich sehe sie lächelnd an.
"Nicht dafür danken, das musst du nicht" sag ich ihr.
Ich weiß zwar nicht, ob ich ihr Zeichen ganz richtig gelesen habe,
aber ich vermute es.
Und zwar mehr durch ihre Augen.
"Du kannst nicht reden?" frage ich nochmals.

Ich wiege den Kopf hin und her und schüttele zögernd den Kopf.
Vielleicht versteht sie ja, warum ich nicht spreche, aber fürs Erste
reicht es so.
Es erleichtert mich ungemein, dass sie meine Gebärde irgendwie
richtig gedeutet hat und ein kleines Lächeln ziert meine Lippen.
Wie immer frage ich mich, wie ich mich nach einem Namen erkundigen
kann, ohne zu sprechen.
Kurzerhand versuche ich es mit Gebärden.
Wie heißt du?

Ihre Hand bewegt sich und deutet kurz auf mich.
Spricht die Gebärdensprache? frage ich mich.
"Cloe" sage ich dann.
"Und du..?"

Cloe, schöner Name.
Ich nehme ihre Hand, als wollte ich sie begrüßen und schreibe ihr
meinen Namen in die Handfläche. Dann lasse ich sie schnell wieder
los.
Meine Hand beschäftigt sich wieder mit meinem Zopf und ich sehe
das Mädchen an.
Diese Aura... Die kenne ich von Riley, Thomas und Liam.

Ich sehe auf meine Handfläche.
Samantha, steht drauf. Ich mag den Namen, er
erinnert mich irgendwie immer an besondere
Leute..
"ich mag deinen Namen" sage ich lächelnd.

Ich erwidere das Lächeln.
Verlegen trete ich von einem Fuß auf den anderen.
Neugierig sein kann manchmal wirklich anstrengend sein.
Aber wenigstens sieht Cloe nicht so aus, als würde sie...
unangenehm werden.
Wie frage ich sie jetzt am besten...?

Ich mustere sie.
"Was ist los?" frage ich, auch wenn sie
nicht reden kann. Es gibt viele Möglichkeiten
einem auch ohne Worte etwas zu sagen.

Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe herum.
Einfache Gebärden sollten doch zu entziffern sein.
Ich deute auf sie, dann forme ich mit den Händen einen
Kreis und zerteile ihn in der Mitte. Mit der einen Hälfte
deute ich zum Empire State Building. In einem Traum
hatte ich gesehen, das dort die Götter leben.
Mit der anderen Hälfte zeige ich zu den Menschen.
Zuletzt male ich ein Fragezeichen in die Luft.
Ob Cloe so versteht, was ich fragen will?

Ich sehe rüber zum Empire State Building.
Meint sie etwa die Götter?, denke ich mir.
Dann sehe ich rüber zu den Menschen.
Ob ich ein Mensch bin..?
Halbgott?
Ich sehe sie an und hoffe, dass ich sie richtig
verstanden habe.
"Halbgott?..." frage ich sie nervös.

Ich nicke wie wild und deute dabei auf sie.
Dann lege ich meine Hand auf meine Brust und schüttele den Kopf.
Mit der anderen Hand deute ich auf meine Augen und zeige nochmal
zum Empire State Building und zu einem schlafenden Zyklopen in einer
schmutzigen Gasse.
In normaler Gebärdensprache geht das schneller, aber so versteht mich
Cloe eher.

"Ja, ich bin ein Halbgott" sage ich, als ich verstehe.
Ich versuche zu verstehen was sie meint.
"Du bist ein Mensch, oder?" frage ich
zum Verständnis.
Ich habe davon gehört, dass es Menschen geben soll
die die Wahrheit sehen können, die Götter Welt.
Doch mir ist noch nie jemand über den Weg
gelaufen.

Erfreut nicke ich und klatsche in die Hände.
Endlich treffe ich mal jemanden, der mich fast so gut
versteht, wie es mein Bruder William tut.
Und noch dazu ist sie die erste Halbgöttin, die ich kennenlerne.
Ich sehe mich um. Ein kleines Cafe fällt mir ins Auge und ich
deute darauf.
Irgendwie habe ich Lust darauf, mit Cloe ein wenig Zeit zu verbringen,
was relativ untypisch für mich ist. Aber es fühlt sich eigentlich ziemlich
gut an.

"Klar" sage ich einfach und wir gehen zu dem
kleinen Cafe.
Wir setzen uns gemeinsam draußen hin und ich
sehe auf die Karte die auf dem Tisch liegt.
"Weißt du schon was du willst?" frage ich und
halte ihr die Karte hin.

Wie immer, wenn mich Philipp oder mein Bruder mal
in ein Cafe schleppen, tippe ich auf den Kakao.
Ich lehne mich zurück und lasse den Blick schweifen.
Hier sind nur normale Sterbliche. Niemand hat so eine
Aura wie Cloe. Und niemand sieht auch nur annähernd
aus wie ein Monster. Gut.
Nachdenklich lege ich die Stirn in Falten. Zwar kenne
ich mich in der Mythologie recht gut aus, aber das reicht
nicht, um zu sagen, von wem Cloe wohl abstammen könnte.

Lächelnd sehe ich auf die Karte.
"Kakoa, auch dein Lieblingsgetränkt?" frage ich.
Eine kleine Bedienung, mit kurzen, roten Haaren kommt
angelaufen und sieht und mit einem übernatürlichen,
breitem Grinsen an.
Ich bestelle zwei Kakaos und dann geht sie wieder, nachdem
sie und einen wundervollen Tag gewünscht hat.
Irgendwie finde ich sie gruselig.

Als eine kleine, grinsende Frau an den Tisch kommt,
schüttele ich den Kopf. Zuerst dachte ich nur, dass
sie komisch aussieht, aber jetzt sehe ich klarer.
Unmerklich rücke ich ein Stück von ihr weg und sehe
Cloe etwas unglücklich an.
Das klebrige Loch, das anscheinend ein Mund sein soll,
macht mir wirklich Angst. Aus meinen Büchern weiß ich,
was das für eine Frau ist. Und es gefällt mir gar nicht, auch
wenn es hier mitten in der Stadt vielleicht nicht so schlimm
ist wie draußen auf dem Meer.
Als die Frau weg ist, schreibe ich ein paar Buchstaben in die
Luft und hoffe, dass Cloe versteht, was ich sagen will.
Sirene!
Unruhig rutsche ich auf der Sitzfläche des Stuhles herum.